präsentiert

Mensch & Raum

Interaktive Installation · 2016

Mensch und Raum sind gesetzerfüllt.
Wessen Gesetz soll gelten?

Oskar Schlemmer

Der Raum wird erst durch die Erfahrung des Menschen als solcher wahrgenommen. Es gibt keine Hierarchie. Beide bedingen sich einander. Der Mensch kann nicht sein ohne Raum und der Raum ist nicht ohne Mensch.

Sie existieren immer nebeneinander und sind doch so unterschiedlich.

Der Mensch, der Lebendige, der Organische, der Sinnliche, der Beseelte, findet sich wieder im Raum, dem Unbelebten, dem Statischen, dem Physikalischen, dem Kubischen.

Diesen Dualismus von Mensch und Raum soll aufgebrochen werden: Das Innerste des Menschen wird auf den Raum übertragen, der Raum wiederum wird vom Menschen wahrgenommen. Ein durch die Zeit getragener Kreislauf.

Raum-Installation

Der Raum ist kubisch und beweglich. Die obere und untere Raumkante ist durch weiße Gummibänder definiert, die Wände durch weiße Wollschnüre. Als Boden dient der vorhandene Boden des Ausstellungsraums. Die Decke bleibt offen, schwarz. Der Raum wird beleuchtet durch UV-Licht, das in der Mitte der Decke des Raums angebracht ist.

Der Herzschlag der Rezipientin wird durch einen Pulsmesser am Unterarm gemessen. Dieses Bild des Herzschlags wird an einen Arduino übertragen. Dieser steuert Motoren, die wiederum die Gummibänder synchron zum Herzschlag in Bewegung setzten. Der Raum simuliert das Herz der Rezipientin.

Die Rezipientin steht in einem Abbild ihres Herzens. Sie steht in ihrem Innersten.

Aufbau des Raums

Das kubische Gerüst ist aus Holz. Das Gerüst ist 4 × 4 × 3 Meter groß. Es ist mit Molton abgehangen und somit nicht sichtbar.

An jeder oberen Ecke ist ein Motor befestigt. An den Motoren sind über eine Spule jeweils zwei Angelschnüre befestigt.

Eine Angelschnur ist mit dem oberen Gummiseil verbunden. Die andere Angelschnur führt nach unten, wird durch eine Umlenkrolle umgelenkt und ist mit dem unteren Gummiseil verbunden. An den anderen Enden der Angelschnüre ist ein Gegengewicht befestigt. Dadurch haben die Gummiseile eine Grundspannung.

Zwischen den beiden Gummiseilen sind im Abstand von circa drei Zentimetern weiße Wollschnüre gespannt. Durch die Gummiseile und die Wollschnüre ergibt sich ein 3 × 3 × 3 Meter großer beweglicher Raum.

An einer Seite sind die Abstände der Wollschnüre größer. Dadurch wird der Ein-/Ausgang markiert.

An der Decke, in der Mitte des Raums befindet sich eine UV-Lampe. Die Decke ist mit Molton abgehangen. Durch das UV-Licht sind nur die Gummiseile und Wollschnüre sichtbar.

Funktionsweise

Der Pulsmesser hat zwei LEDs, die auf die Haut der Trägerin leuchten. Die Reflexion des Lichts verändert sich abhängig vom durchfließendem Blut und wird von einem Sensor gemessen. Daraus lässt sich der Puls und von diesem wiederum der Herzschlag ableiten. Der Pulsmesser sendet via Bluetooth die Schläge pro Minute (beats per minute, BPM), sobald er diese ermitteln konnte. Anschließend sendet er jeden weiteren erkannten Pulsschlag – bewegt sich die Trägerin des Pulsmessers stark, kann der Pulsschlag weniger gut ermittelt werden.

Bei jedem Pulsschlag wird vom Computer ein Signal an den Arduino übertragen. Mit jedem Signal sendet der Arduino wiederum innerhalb von 200 Millisekunden 1400 Schritt-Signale an vier Schrittmotortreiber.

Diese wiederum interpolieren die Schritt-Signale, steuern den Strom und sorgen dafür, dass sich die vier Motoren innerhalb der 200 Millisekunden um circa 130 Grad drehen. Dabei sind die Motoren deutlich zu hören. Anschließend sorgt der Arduino dafür, dass keine Spannung mehr auf den Motoren liegt. Durch die mechanische Spannung der Gummiseile drehen sich die Motoren wiederum um circa 130 Grad in die entgegengesetzte Richtung.

Dieser Ablauf wiederholt sich bis die Rezipientin den Raum verlässt, den Pulsmesser abnimmt oder den Knopf des Pulsmesser betätigt.

Theorie

Alles geht vom Ich aus.

Die Sinnesorgane des Menschen sammeln Informationen, diese werden interpretiert. Der Mensch erschafft sich ein Bild seiner Umwelt. Seine Umwelt ist sein Spiegel und somit auch ein Bild seiner selbst. Das ist das, was uns bleibt: ein Bild.

Sokrates
Unser Körper, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele?

Protarchos
Offenbar wollen wir das.

Sokrates
Woher aber, o lieber Protarchos, sollte er sie erhalten haben, wenn nicht auch des Ganzen Körper beseelt wäre, dasselbe habend wie er, und noch in jeder Hinsicht trefflicher?

Definition Mensch

Der Mensch ist vielfältig. Was es bedeutet Mensch zu sein, ist – zu unserem Glück – eine Frage, die niemals beantwortet werden kann. Das Notwendige für die vorliegende Arbeit besteht in der Betrachtung, was den Menschen ausmacht, was ihn einzigartig macht: seine Gedanken, seine Gefühle, die Psyche, der Geist, das Bewusstsein, die Seele. Darunter liegt das Organische, der Körper, der Leib, der Organismus. Diese Trennung funktioniert nur so lange, bis das Gehirn betrachtet wird.

Im Gehirn vermischt sich Körper und Geist, Leib und Seele.

Leib und Seele kann nicht getrennt werden. Jedoch bleibt der Ursprung, das Innerste des Menschen im Organischen.

Definition Raum

Der Raum kann physikalisch beschreiben werden: Dreidimensional: Breite, Tiefe, Höhe. Darin Materie und Felder. Durch die vierte, unabdingliche Dimension, die Zeit, wird der Raum zum Ort physikalischer Vorgänge. Die Wissenschaft sagt, Raum und Zeit seien relativ zueinander.

Der Kulturraum ist mindestens etymologisch mit dem physikalischen Raum verwandt, der hiermit auch seine Erwähnung gefunden hat und auch als Symbol, als Betrachtungsweise der Arbeit einbezogen werden soll.

Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Puncts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntniß gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am Reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat.

Ueber das Marionettentheater.
Heinrich von Kleist

Unendliche Reflexion

Die Grazie ist nur in keinem oder im unendlichen Bewusstsein, sagt Kleist. Meine Bachelorarbeit ist der Versuch einer Annäherung an das unendliche Bewusstsein.

Täglich begegnen wir anderen Menschen die uns, durch ihr Gesagtes oder nur durch eine Geste, einen Blick, ein Spiegel sind. Das Selbst durchläuft das Gegenüber. Es wird von ihm gefiltert wahrgenommen und interpretiert. Dies drückt sich wiederum in Sprache oder Gestik aus. Der Spiegel in dem wir uns betrachten ist demnach durch die Interpretation getrübt.

In meiner Arbeit ist nur der Mensch und der Raum, sonst nichts. Der Raum dient als Spiegel des Menschen. Der Raum reflektiert des Menschens Innnerstes. Das ist das angestrebte Ideal.

Der Raum soll soweit wie möglich ungestaltet sein. Das Schwarze ist Nichts, die Leere; das Weiße das Sein, der Raum. Die Begrenzung des Raums soll fühlbare Materie sein. Der Raum soll das Schlagen des Herzens 1:1 wiedergeben.

Dokumentation